//Fortsetzung des Beitrages DIE ACHILLESFERSE DER ENERGIEWENDE
Letztendlich wird es auf eine Kombination hinauslaufen. Kurzfristige Schwankungen können durch Batterien und einen stärker angebotsorientierten Verbrauch kompensiert werden. Bei längerfristigen Engpässen, gar mehrtägigen Ausfällen, wird Wasserstoff und aus ihm gewonnenes Methan eine zentrale Rolle spielen. Alles zusammen kann die Nachteile erneuerbarer Energien kompensieren und eine ausreichende Energieversorgung auch in kritischen Zeiten ermöglichen. Vorausgesetzt es stehen auch ausreichend erneuerbare Energiequellen zur Verfügung.
Damit ist die Frage zunächst beantwortet: Es ist prinzipiell möglich, die Energiegewinnung auf vollständig erneuerbare Quellen umzustellen. Das gilt sowohl für die Höhe unseres heutigen Energieverbrauchs als auch für das Problem der Schwankungen in der Stromerzeugung. Nur leider lassen wir uns mit dem Umbau viel zu viel Zeit. Warum ist Eile geboten? Weil es nunmal darum geht, möglichst die Grenze von 1,5 Grad Celsius Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, die beim Pariser Klimaschutzabkommen als Zielvorgabe von praktisch allen Ländern der Welt unterschrieben wurde, nicht zu überschreiten. Aber die Aussichten sind sehr schlecht, denn die Realität ist: Noch immer werden Milliarden von Tonnen CO2 jedes Jahr in die Atmosphäre ausgestoßen. So wird denn auch der Spielraum für den Wandel von Jahr zu Jahr enger. Wie groß dieser ist, lässt sich in einem weltweiten Restbudget an CO2 ausrechnen und auf die einzelnen Länder aufteilen. Schlüssel ist hier der Bevölkerungsanteil an der Welt. Für Deutschland gilt: Mit gut 80 Millionen Einwohnern stellen wir etwa 1,1 Prozent der Weltbevölkerung. Entsprechend beträgt unser maximales Budget ab 2022 noch ganze 2 Milliarden Tonnen CO2, wenn wir das Ziel von 1,5 Grad Celsius erreichen wollten, oder 6,1 Milliarden Tonnen CO2, sofern wenigstens die 1,75 Grad Grenze eingehalten werden soll. Immerhin hat es Deutschland seit 1990 geschafft, den Ausstoß an Kohlendioxidäquivalenten von 1,24 auf 0,76 Milliarden Tonnen in 2021 zu reduzieren.[1] Und auch in den nächsten Jahren wird dieser Trend weiter anhalten. Leider geschieht dies nicht schnell genug. Noch immer bewegen wir uns im Galoppschritt auf die Klimakatastrophe zu. Ich erinnere an das Beispiel der überlaufenden Badewanne. Im Falle der 1,5 Grad Grenze schwappt es in deutschen Badezimmern bereits im Jahr 2027 über, im Falle der 1,75 Grad Grenze erst im Jahr 2040.
Warum geht es so langsam voran? Sicherlich könnte man Seiten, gar Bücher füllen, um diese Frage aus gesellschaftlicher, politischer, bürokratischer oder technischer Perspektive zu beantworten. Aber es geht auch einfacher, wenn man sich die ökonomischen Zwänge vor Augen führt. Die Investition in eine moderne Offshore-Windkraftanlage verschafft Kapitalgebern derzeit eine Rendite von ungefähr 5 bis 7 Prozent. Projekte mit fossilen Energien erwirtschaften jedoch noch immer doppelt so hohe Renditen.
In der Arte-Reportage Das System Total – Ein Ölmulti macht auf nachhaltig wird der französische Konzern Total stellvertretend für die Mineralölindustrie porträtiert. Ganz am Anfang des Films blickt man auf das Ufer des Nils, während im Hintergrund der malerische Regenwald Ugandas zu sehen ist. Eine Flusspferdfamilie schwimmt träge im tiefdunkelblauen Wasser. Wachsame Antilopen weiden auf satt grünen Wiesen. Vogelschwärme ziehen unter dem dicht verhangenen, grauen Wolkenhimmel vorüber. Aber mit dieser ursprünglichen Wildnis ist es bald vorbei. Denn dort entsteht gerade Totals weltweit größtes Ölprojekt. Dazu werden Wälder geforstet, Wege, Straßen und Flugzeuglandebahnen angelegt, Tausende von Tiere und Menschen vertrieben. Sie machen Platz für von Zäunen umgrenzte und überwachte Förderanlagen, Raffinerien und Pipelines. Etwa ein Drittel der 400 geplanten Bohrungen werden in Ugandas größtem Naturschutzgebiet durchgeführt. Sie sollen über wenigstens 25 Jahre täglich bis zu 230 Tausend Barrel Öl an die Erdoberfläche pumpen. Ein Superlativ wird allein schon die neue Pipeline. Das für den Transport notwendig auf 50 Grad Celsius erwärmte Öl wird durch halb Uganda, entlang des Viktoriasees und schließlich quer durch Tansania bis zur Westküste Afrikas geleitet. Damit entsteht die längste, beheizte Ölpipeline der Welt.
Derweil verkündet im Frühjahr 2021 der Vorstandsvorsitzende Patrik Pouyanné auf der Hauptversammlung des Konzern ganz stolz den großen Erfolg des Projektes. Für weniger als 11 Dollar je Barrel, also knapp 7 Cent je Liter, wird Total in den kommenden Jahren Öl produzieren und damit der versammelten Shareholdergemeinschaft satte Gewinne und Glücksgefühle bereiten können. Immerhin muss man Total lassen, dass sie im Rahmen ihres Gesamtportfolios auch in erneuerbare Energien investieren. Aber was bleibt ihnen auch anderes übrig. Sie wissen ja, dass irgendwann der ganze Spass vorbei sein wird. Entweder, weil sich eines Tages die Menschen und Regierungen durchsetzen und die weitere Förderung fossiler Energien verbieten werden oder weil das Öl und Gas schlicht und ergreifend ausgeht. Bislang bleibt bei ihnen jedoch der Anteil an erneuerbaren Energien sehr gering, denn nur so lässt sich die konzernübergreifende Gewinnerwartung realisieren. Fast markaber wirkt es da, dass Total unter anderem auch ein Investorenteam in San Francisco unterhält, dass Start-ups aufspüren soll, die mit ihren Technologien vielleicht einmal die saubere Energie der Zukunft liefern werden. Man will zur richtigen Zeit dabei sein, nicht zu früh, nicht zu spät, gerade rechtzeitig, wenn das große Geld verdient wird. Aber bis dahin melkt man die Kuh, oder eben die weltweiten Öl- und Gasvorkommen, garantieren sie doch über Jahrzehnte eine sichere und hochprofitable Rendite.
Andererseits kann man es Total auch nicht ganz und gar verübeln. Denn letztendlich stellen die Mineralölkonzerne nur das bereit, was die immer ressourcenhungrigere Welt von ihnen fordert – möglichst billige Energie. Und dieser Trend wird ungeachtet der Klimaziele auch in den kommenden Jahren weiter anhalten. Will man es mit dem Klimaziel trotzdem noch ernst meinen, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Geschwindigkeit, mit der die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, deutlich zu erhöhen. Denn erst wenn sie allen Menschen auf der Welt in ausreichender Menge und zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung steht, wird die Nachfrage nach fossilen Energieträgern spürbar nachlassen. Im Moment sind wir davon aber noch sehr weit entfernt. Da reicht schon der Blick auf die Situation hierzulande: Um allein unseren Anteil zum Klimaziel beizutragen, müsste jedes Jahr 14 Gigawatt mehr Windkraft und 37 Gigawatt mehr Sonnenenergie installiert werden.[2] Zum Vergleich: Im Jahr 2020 wurde die Windkraft um 1,4 Gigawatt und die Photovoltaik um knapp 5 Gigawatt ausgebaut.
Mehr Schwung hereinbringen, könnte ein riesiges Investitionsprogramm des Staates. Da die Investitionen in erneuerbare Energien noch nicht so rentabel sind wie vergleichbare in fossile Energien, sollte der Staat wesentlich energischer auftreten und sich als wichtigster Investor und Pionier der erneuerbaren Energien verstehen. Zudem sollten Verbraucher und Unternehmen stärker reglementiert werden, die zu sehr an fossile Energien festhalten. Schon in absehbarer Zeit wird so der kritische Punkt, an dem ausreichend neue Infrastruktur aufgebaut ist, überschritten sein, sodass die erneuerbaren Energien ihren Vorteil, nämlich die Bereitstellung immerwährender, sauberer und billiger Energie, voll ausspielen können.
Darüber hinaus bliebe natürlich auch noch die Option, unseren Energieverbrauch sofort drastisch zu senken. Dabei geht es nicht um den dauerhaften Verzicht auf Konsum und den vielen Errungenschaften unseres modernen Lebens, sondern darum, Zeit zu gewinnen. Solange es uns nicht gelingt, die Wirtschaft schneller umzubauen, die Infrastruktur anzupassen, die behördlichen Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und die demokratischen Entscheidungsprozesse auf Bundes-, Landes und Kommunalebene zu beschleunigen, sollten wir unseren Hunger nach Energie übergangsweise zügeln. Dadurch könnten wir es schaffen, noch ein paar Jahre wertvolle Zeit zu gewinnen. Zeit, die wir nutzen könnten, die Energiewende vollständig durchzuführen, bevor es zu spät ist und uns die negativen Auswirkungen und Schäden des Klimawandels einholen werden.
Literatur/Quellen:
Volker und Cornelia Quatschning, Energierevolution jetzt!, eBook, Kap.: Hundert Prozent sind machbar
[1] beide Werte gelten mit einer angegebenen Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent, laut Stellungnahme des SRU, zuletzt aktualisiert im Juni 2022; Näheres siehe: https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.pdf?__blob=publicationFile&v=30
[2] Volker und Cornelia Quatschning, Energierevolution jetzt!, eBook, Kap.: Hundert Prozent sind machbar
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