Spricht man in in der Gründerszene den Begriff der disruptiven Technologien an, fangen plötzlich die Augen aller Anwesenden an zu leuchten. Im Silicon Valley und den vielen Start-up-Zentren rund um den Globus ist disruptiv ein magisches Wort, das Begeisterung und Enthusiasmus hervorruft. Alle Start-ups träumen davon, ein Produkt zu entwickeln, das in der Lage ist, einen bestehenden Markt komplett auf den Kopf zu stellen. Nicht weniger gering ist die Erwartungshaltung der Risikokapitalgeber. Im Silicon Valley zahlt sich nur etwa jede zehnte Investition aus. Das heißt neun von zehn Gründungsvorhaben scheitern früher oder später. Angenommen ein Kapitalgeber investiert in zehn Start-ups jeweils 100.000 Dollar, verliert er eventuell bis zu 900.000 Dollar. Die Erwartungshaltung des Investors an das eine Unternehmen, das es schafft seine Geschäftsidee zu verwirklichen und zu wachsen, ist entsprechend hoch. Mindestens eine Million wird nämlich der Investor von seinen ursprünglichen 100.000 Dollar refinanziert bekommen wollen, damit seine Gesamtrendite wieder stimmt. Mit evolutionären Innovationen, die bestehende Produkte nur häppchenweise verbessern, ist dies nicht zu machen.
Was in der Start-up-Szene für Euphorie sorgt, schürt unter den etablierten Firmen Angst und Sorge. Wie ich bereits ausgeführt habe (siehe im Buch Kapitel V - The Innovator’s Dilemma), neigen Unternehmen dazu, ihre Produkte und Dienstleistungen nur langsam und schrittweise zu verbessern. Sie begehen damit keinen Fehler, ganz im Gegenteil, es entspricht im Grunde genommen einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Herangehensweise. Letztendlich setzt man sich damit aber der Gefahr aus, irgendwann von einer disruptiven Technologie überholt zu werden. Ich möchte an dieser Stelle nochmal betonen: Innovations- und Wettbewerbsdruck gibt es seit jeher. Die deutsche Industrie ist beispielsweise seit vielen Jahren von einer wachsenden Konkurrenz aus Asien bedroht. Nicht zuletzt aus diesem Grund setzen deutsche Unternehmen bisher noch sehr erfolgreich auf Qualität, permanent fortschreitende Automatisierung, technologischen Vorsprung und Innovationsarbeit. Aber es ist gerade dieses „analogische Denken, die Politik der 10 %-Schritte“, wie es Elon Musk ausdrückt, das die Gefahr des Scheiterns in sich birgt. Disruptive Technologien setzen eine unberechenbare Wettbewerbsdynamik in Gang. Niemand kann voraussehen, wann ein bestehender Markt aufgelöst und ersetzt wird. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass die Häufigkeit disruptiver Innovationen zunimmt und auch bisher als unverwundbar geltende Märkte verstärkt betroffen sein werden. „Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert,“ meint die ehemalige Hewlett & Packard-Managerin Carly Fiorina, wohl wissend, dass die digitale Technik immer mehr in Bereiche vordringen wird, die bis dato als analog und damit als sicher vor den besonderen Gesetzmäßigkeiten der Bits und Bytes galten.[1] Doch Tausende von Start-ups, die mit Milliarden von Investorengeldern finanziert werden, arbeiten jeden Tag daran, dies zu ändern, und es mag nur eine Frage der Zeit sein, wann es diese oder jene Branche treffen wird. Wie wehrt man sich aber gegen disruptive Technologien und schützt damit sein etabliertes Unternehmen?
Am besten, indem man selbst disruptiv denkt. In gewisser Weise begibt man sich an die Arbeit, eine disruptive Technologie zu entwickeln, die vielleicht schon bald in der Lage ist, das eigene Geschäft zu erweitern, vielleicht sogar zu ersetzen. Die Logik ist simpel: Bevor es andere tun, macht man es lieber gleich selbst. Anstatt sich mit der kontinuierlichen Verbesserung der bisherigen Technologie zufriedenzugeben, geht es grundsätzlich erst einmal darum, alles Vorhandene in Frage zu stellen und nichts von vornherein auszuschließen. Es gilt, die gut festgetrampelten Pfade zu verlassen und neue Wege zu erschließen. Am Anfang mag das nur in einer kleinen Zelle im Unternehmen geschehen, in der wenige Mitarbeiter möglichst frei, offen und selbständig vom Rest der Belegschaft forschen und entwickeln können. Das kann ein Innovationszentrum, ein Labor oder eine Werkstatt sein. Wichtig ist nur, dass das Team mit ausreichend Ressourcen versorgt wird und organisatorisch eigenständig agieren kann (ausführlich dazu im Buch VON ALTEN UND NEUEN BÜROWELTEN, Kapitel V - The Innovator’s Dilemma). Noch besser ist es, wenn man darüber hinaus möglichst im gesamten Unternehmen eine große Innovationsbereitschaft schafft. Wenn sich Größe und Vielfalt günstig auf Kreativität auswirken, warum dann nicht auch gleich möglichst viele Mitarbeiter daran beteiligen?....
Auszug aus dem Sachbuch: VON ALTEN UND NEUEN BÜROWELTEN - Wie das Büro zu einem Ort kreativer Zusammenarbeit wird
Autor:
Maik Marten
als eBook u.a. bei:
als Soft Cover:
ISBN 978-3754128268
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Literatur / Quellen:
[1] Christoph Keese, Silicon Valley - Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt, 2016, S. 179
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