Unser erstes Büro war nicht mehr als ein kleiner Arbeitsraum, von dem ein WC und ein schmaler Gang abging, an dessen Ende eine Küchenzeile eingebaut war. Die Fläche bemaß insgesamt weniger als 40 Quadratmeter, die gerade so viel Platz boten, um zwei Tischplatten auf schwarzen Stahlgestellen aufzubocken, eine kleine Besprechungsinsel einzurichten und ein in eine schmale Nische eingefasstes Regal zu beherbergen. Es war winzig, aber mehr als ausreichend für den Anfang. Wir waren vorsichtig und wollten die Ausgaben möglichst flach halten und zunächst schauen, ob wir zurechtkämen. Ein wenig peinlich war es uns, wenn Kunden oder Geschäftspartner anriefen und fragten, ob sie uns besuchen könnten. Wir vermieden solche Situationen. Es war uns lieber, wenn wir es so einrichten konnten, dass wir uns bei ihnen trafen.
Das Büro befand sich in einem Mehrfamilienhaus, im zweiten Stock, die Nebenwohnung eines Schriftstellers, die er an uns günstig untervermietete, um seine bescheidenen Einkünfte aufzubessern. Im Erdgeschoss gab es ein weiteres Architekturbüro, ein Gemeinschaftsbüro, dessen Hauptmieter der Architekt war, der das Haus damals für die restlichen Bewohner geplant und errichtet hatte. Ein paar Tage nach unserem Einzug stattete er uns einen Besuch ab, stellte sich vor. Er hieß Tom Klingbeil. Natürlich kannten wir seinen Namen und das Haus schon, noch bevor wir dort eingezogen waren. Obwohl das Gebäude bereits acht Jahre zuvor errichtet worden war, sorgte es immer noch für große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Der Grund: Das Gebäude war seinerzeit das erste innerstädtische Mehrfamilienhaus aus Holz. Mit seinen sieben Geschossen und über 24 Metern Höhe widersprach es damit der damaligen Bauordnung, die zwingend vorsah, dass alle tragenden Bauteile und Decken eines Gebäudes von mehr als 13 Metern Höhe aus feuerbeständigem Material gebaut werden müssen. Stahlbeton erfüllt diese Voraussetzung und ist deshalb neben seiner hohen statischen Tragfähigkeit und günstigen Anschaffungskosten auch so beliebt bei Bauherren und Architekten. Dass das Haus dennoch gebaut werden durfte, lag an einer ganzen Reihe von Auflagen, die das Bauamt und die Berliner Feuerwehr an die Genehmigung des Bauantrages knüpfte. Was der Grund war, weshalb man es kurioser Weise dem Haus auch überhaupt nicht ansah, dass es aus Holz konstruiert ist: Die Erschließung erfolgt über eine aus Sichtbeton gefertigte Außentreppe. Innen- und Außenwände sind verputzt. Darunter verborgen liegen Schichten aus Steinwolle und Gipsfaserplatten. Der Boden unseres Büros war aus Estrich gegossen und der Kern des Gebäudes, dort wo die Wasser- und Stromleitungen verlaufen und die restliche Haustechnik ihren Platz findet, ist ebenso aus massivem Beton. Im Falle eines Brandes soll dadurch die Stabilität des Gebäudes gewahrt werden. Im Ernstfall, bei Feuer und starker Rauchentwicklung, könnten sich die Bewohner über das außenliegende Treppenhaus ohne die Gefahr einstürzender Decken und einer plötzlichen Rauchvergiftung in Sicherheit bringen. Die einzigen sichtbaren Zeichen des Holzhauses sind die aus Fichte gefertigten Decken und Fensterrahmen. Aber dies ist ein unvollständiges Bild, denn hinter den Kleidungshüllen aus nicht brennbaren Materialen verbergen sich eine ausgetüftelte Holzpfostenriegelkonstruktion und massive Wände aus Holz.
Technisch ist es kein Problem, Beton durch eine Holzkonstruktion zu ersetzen; dies gilt auch für Häuser, die über die typische Höhe eines Einfamilienhauses weit hinausgehen. Selbst Hochhäuser sind prinzipiell möglich. Der Knackpunkt ist das Brandverhalten von Baustoffen. Bisher lautete es in den Bauordnungen der Bundesländer ganz eindeutig: „Tragende und aussteifende Wände und Stützen müssen im Brandfall ausreichend lang standsicher sein. Sie müssen in Gebäuden der Gebäudeklasse 5 [in Gebäuden, die höher als 13 Meter sind] feuerbeständig sein.“ Das ist eine sinnvolle Norm für den Brandschutz, aber eine echte Bremse für den Holzbau, denn Holz ist nunmal nicht feuerbeständig. Aber glücklicherweise kommt seit einigen Jahren Bewegung ins Spiel. Vor allem Dank der Behaarlichkeit von Architekten wie Tom Klingbeil werden die Zügel nach und nach gelockert und die Bauordnungen überarbeitet. Holz darf demnach nun auch in höheren Gebäudeklassen für tragende Bauteile verwendet werden, wenn „die erforderliche Feuerwiderstandsfähigkeit gewährleistet wird“[1]. Konkret bedeutet letzterer Passus, dass eine ganze Reihe zusätzlicher Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden müssen, um einen Brand erst gar nicht entstehen zu lassen oder – wenn es doch geschieht – ein Ausbreiten der Flammen und des Rauches zu verhindern; zum Beispiel durch die Imprägnierung von Holz mit brandschutzhemmenden Chemikalien, durch den Einbau von Sprinkleranlagen, durch Brandschotts, durch das Ummanteln von Holz mit nicht brennbaren Substanzen und, wie in vielen Fällen üblich, durch eine Kombination aus Holz mit Stahl und Beton.
Aus diesem Grund sehen viele Holzhäuser nicht unbedingt aus wie Holzhäuser. Und es bleibt häufig ein Mix aus Holz, Stahl und Beton. Aber auch wenn viele Kompromisse eingegangen werden müssen, lässt sich der Anteil von Stahl und Beton durch die Holzbauweise deutlich reduzieren, was natürlich ein großer Schritt in Richtung Klimaneutralität ist. Man muss sich nur mal vor Augen führen, wie viel Material im Bausektor weltweit benötigt wird. Auf einen einzigen Kubikmeter eines durchschnittlichen Hauses kommen rund 600 Kilogramm Material.[2] Rund die Hälfte aller auf der Welt verarbeiteten Rohstoffe verbraucht nur der Bausektor.[3] Da ist es auch nicht verwunderlich, dass die Baubranche maßgeblich für die Verknappung von Ressourcen und die Emission von Treibhausgasen verantwortlich ist. [4]
Der große Vorteil von Holz: Es bindet CO2. Praktisch jedes andere Material, und wenn es noch so umweltschonend und klimafreundlich erzeugt und bereitgestellt wird, verursacht die Emission an CO2. Holz ist das genaue Gegenteil, die einzige Möglichkeit, Dinge wieder gut zu machen. Durch die Verwendung als Baumaterial wird Kohlendioxid im Gebäude gebunden und über die Lebensdauer des Gebäudes oder Bauteils der Atmosphäre entzogen. Und mit etwas Glück sind es nicht nur Jahre oder Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte; also auch genügend Zeit, damit neues Holz nachwachsen kann, das wiederum CO2 einspeichern kann. Etwa eine Tonne des Treibhausgases kommt bei jedem Kubikmeter gewachsenem Holz zusammen. So werden allein durch den deutschen Wald jedes Jahr über 55 Millionen Tonnen CO2 absorbiert. Wobei ich die Zahl auch gleich wieder etwas relativieren muss. Denn wenn Holz eingeschlagen wird, durchläuft es anschließend unterschiedliche Verarbeitungsprozesse, je nachdem, wofür es am Ende verwendet wird. Dabei wird jedes Mal auch Energie benötigt und CO2 emittiert; besonders viel davon bei der Trocknung von Holz, weil man dafür viel Heizwärme benötigt. Unter Umständen wird so der positive Effekt wieder stark aufgezehrt.
Zeit für ein kleines positives Zwischenfazit. Gelingt es uns, die Herstellung von Stahl und Beton umzustellen, unvermeidbare CO2-Emissionen aus der Luft abzuscheiden und den Einsatz beider Materialien zugunsten von Holz zu reduzieren, kämen wir einer Klimaneutralität schon sehr nah. Das führt jedoch zu der wichtigen Frage, ob überhaupt genügend Holz vorhanden ist und nachwächst, um den steigenden Bedarf in den nächsten Jahren zu decken?
Am Beispiel Wald lässt sich gut erkennen, dass der Begriff Nachhaltigkeit seine Tücken haben kann. Zunächst klingt es ganz simpel: Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft heißt, dass nicht mehr Holz eingeschlagen werden darf, als nachwächst. In Deutschland sind alle Waldbesitzer dazu sogar per Gesetz verpflichtet. Und dies ist seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges auch erreicht worden. Tatsächlich ist Deutschland nach Schweden das waldreichste Land Europas. Aktuell sind rund 114.000 Quadratkilometer mit Wald bedeckt, was fast ein Drittel der Gesamtfläche von Deutschland ist. Betrachtet man den Holzreichtum, also die Menge des Holzes und nicht die Fläche, sind wir sogar Spitzenreiter. Kein Land in Europa hat mehr Holzbestand als Deutschland. Und jedes Jahr kommen sogar noch einmal durchschnittlich 176 Quadratkilometer hinzu.[5] Also eigentlich eine klare Erfolgsstory. Entsprechend optimistisch gibt sich zunächst auch die Holzwirtschaft für die weitere Zukunft. Aber ganz so einfach ist es nicht, denn das Problem liegt woanders begraben. Der Begriff Nachhaltigkeit impliziert ja eine geschlossene Kreislaufwirtschaft, bzw. einen geschlossenen Materialkreislauf. Das heißt, es kann nur soviel Holz verkauft werden, wie auch nachwachsen kann. Aber gerade in jüngster Zeit steigt die Nachfrage nach Holz, nicht zuletzt auch aus dem Ausland, sprunghaft an. Besonders China und die USA scheinen einen unstillbaren Hunger auf alle möglichen Holzprodukte zu entwickeln. Über die Hälfte des deutschen Holzexportes ging im Jahr 2020 allein nach China; eine Steigerung um 80 Prozent zum Vorjahr.[6] Und es sieht so aus, als würde dieser Trend auch in den kommenden Jahren anhalten. Die Folge sind steigende Preise und knappe Lagerbestände in den Sägewerken. Das freut die Holzindustrie, aber nicht die heimischen Abnehmer. Würde man Nachhaltigkeit zu Ende denken, müsste der Ausverkauf nationaler Ressourcen durch ausländische Staaten und Unternehmen zumindest deutlich eingeschränkt werden. Ein kleinerer Materialkreislauf innerhalb Deutschlands hätte zudem den Vorteil, lange Transportwege auszuschließen und möglicherweise besser überblicken zu können, wie viel vom eingeschlagenen Holz letztendlich den Weg zum dauerhaft genutzten Baumaterial findet.
Dazu kommt aber noch ein weiteres, vermutlich wesentlich gravierenderes Problem, denn dem deutschen Wald macht auch der Klimawandel zunehmend zu schaffen. Zukünftig müssen wir in Deutschland mit einem stärkeren Wechsel zwischen Regen- und Trockenphasen rechnen. Die Winter werden tendenziell milder und nasser, die Sommer dafür immer heißer und trockener. Und durch die insgesamt steigenden Temperaturen steckt auch mehr Energie in der Atmosphäre, weshalb sich heftigere Stürme, plötzlich auftretende Starkregen oder Hagelschläge häufen werden. Hitze, übermäßig lange Dürreperioden und extreme Wetterlagen zerren an der Substanz des Waldes. Das zeigen auch die Untersuchungen der Baumbestände. Nur noch 22 % der Bäume gelten laut dem zuletzt 2020 erschienenen bundesdeutschen Waldzustandsberichts als intakt.[7] Nach den beiden Dürrejahren 2018 und 2019 sind in vielen Regionen die Böden staubtrocken. Zwar hat es 2020 wieder etwas mehr geregnet, aber das reicht nicht aus, um den Mangel an Wasser der vergangenen Jahre aufzuholen, wie auch der Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig zeigte.[8] Das schwächt die Bäume über Jahre und macht sie anfällig für Parasiten, starke Stürme und folgende Dürrejahre.
Waren Waldbrände in Deutschland bisher die Ausnahme, brannte es im Jahr 2022 gleich in mehreren Bundesländern flächendeckend. Selbst die Hauptstadt ist nicht verschont geblieben. Berlins Lunge, der Grunewald, loderte tagelang bei hochsommerlichen Temperaturen und übermäßiger Trockenheit. Die Löscharbeiten waren erschwert, weil inmitten des Waldes ein Munitionslager der Polizei drohte, in die Luft zu gehen. Experten schätzen, dass sich aufgrund der verändernden Klimabedingungen bis Mitte unseres Jahrhunderts die Anzahl der Tage im Jahr, an denen die höchste Waldbrandgefahr ausgerufen werden muss, verdoppeln wird.[9] Zumindest gibt es einen Profiteur des Klimawandels, der Borkenkäfer. Dieser setzt besonders der Fichte zu, deren Holz aber auch gern für den Hausbau verwendet wird. Zu einer Plage wird der Schädling erst dadurch, weil er sich bei trockenem Wetter deutlich besser vermehren kann als in abwechselnd mal feuchten, mal trockenen Wetterlagen, wie wir es bisher in unseren gemäßigten Klimazonen gewohnt waren.
All diese Faktoren zeigen, dass die Ressource Holz in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten wohl deutlich knapper werden wird. Ein Trend, der übrigens auch für den Rest von Europa zutrifft. So prognostiziert die Forstwissenschaft bis Ende des Jahrhunderts für über die Hälfte der gesamten Waldfläche in Europa nur noch eine geringe Ertragskraft. Momentan gilt dies nur für knapp 11 Prozent.[10] Jedenfalls lässt das alles den Schluss zu, dass es wohl eher unrealistisch ist, davon auszugehen, zukünftig einen deutlich höheren Bedarf an Holz decken zu können.
Quellen/Literatur:

[1] https://www.holzbau-deutschland.de/aktuelles/presseinformation/ansicht/detail/aenderungen_der_berliner_bauordnung_erleichtert_den_mehrgeschossigen_holzbau/
[2] Hegger/Fuchs/Stark/Zeumer, Energieatlas - Nachhaltige Architektur, S. 27
[3] Ebd., S. 26
[4] Ebd., S. 165
[5] https://www.forstwirtschaft-in-deutschland.de/forstwirtschaft/grenzen-der-nachhaltigkeit/
[6] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/holz-baustoff-mangel-corona-101.html
[7] Nick Reimer/Toralf Staud, Deutschland 2050 - Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird, Kiepenheuer & Witsch,S. 149
[8] https://www.ufz.de/index.php?de=37937
[9] Ebd., S. 167
[10] Ebd., S. 169
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