Den Turbulenzen des Lebens etwas Stabilisierendes entgegenzusetzen, kann durch das Zelebrieren von Ritualen gelingen. Sie sind in ihrer sich wiederholenden, feierlichen und verfestigenden Form das Gegengift zu den zunehmend flexibel gestalteten Arbeitsverhältnissen und flüchtiger werdenden Beziehungen unserer Gesellschaft. Der Philosoph Byung-Chul Han merkt dazu an: „Vermittels ihrer Selbigkeit, ihrer Wiederholung stabilisieren sie [die Rituale] das Leben. Sie machen das Leben haltbar.“[1] Rituale können das Zelebrieren der großen und kleinen Dinge sein: das gemeinsame Frühstück in der Cafeteria, die kleinen Kaffee- oder Zigarettenpausen zwischendurch, das Tischkickern nach der Mittagspause, regelmäßige After-Work-Partys, gemeinsames Grillen mit Kollegen und der Familie, Sommerfeste, Karaokeabende… Rituale setzen dem permanenten Zwang zum Neuen, zur Innovation, etwas entgegen. Sie sind die regelmäßigen Pausen, vom ständig-kreativ-und-innovativ-sein müssen. Man kann sie sich wie Erholungsphasen zwischen großen Marathonläufen vorstellen. Beschleunigt der ständige Druck zur Verbesserung und Innovation unser Dasein, können Rituale dazu beitragen, die Welt zu entschleunigen. Vor allen Dingen entfalten sie aber ihre Wirkung, indem sie unter den Mitarbeitern ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Angekommenseins in der Gemeinschaft stiften. Sie „lassen sich als symbolische Techniken der Einhausung definieren. Sie verwandeln das In-der-Welt-Sein in ein Zu-Hause-Sein.“[2]
Immer wieder reagieren Menschen befremdlich auf Arbeitsumgebungen, in denen man neben den gewohnten Büroutensilien auch Spiele und Spielecken vorfindet. Was haben Tischkicker, Tischtennisplatten, Nerf-Guns, Spielekonsolen oder Dartscheiben mit der Arbeit zu tun? Warum zelebrieren Unternehmen wie Google, Facebook, Airbnb oder Soundcloud derart intensiv eine Spiel- und Freizeitkultur? Warum sind die Firmen so sehr bemüht, den richtigen Vibe zu erzeugen? Kritische Stimmen sehen dahinter nur ein weiteres Tool der Arbeitgeber ihre Mitarbeiter stärker zu motivieren, um sie noch produktiver zu machen. Tatsächlich geht es dabei aber um mehr als nur um ein reines betriebswirtschaftliches Kalkül. Derartige Arbeitsumgebungen sind keine bloßen Gimmicks, vielmehr ermöglichen sie eine ungezwungene Atmosphäre, in denen Mitarbeiter sich trauen, auch ungewöhnliche oder auf den ersten Blick sogar verrückte Ideen zu äußern. Auch Streiche, die man sich gegenseitig spielt, sind erlaubt. „Man darf Stolpern, solange man nach vorne fällt“[3], drückt es Tom Kelley, Partner der Designagentur IDEO, aus, wenn er an die kleinen Neckereien unter seinen Mitarbeitern denkt, die für eine erfrischende Ablenkung vom Arbeitsalltag sorgen. Für seinen Kollegen Jim Yurchenco dienen Spiele und Streiche unter Kollegen einem höheren Zweck: Sie geben ihm das Gefühl, ein Stück weit Kontrolle über sein Schicksal zu erlangen, das “Gefühl, zu etwas zu gehören, das größer ist als er selbst."[4]
Sport- und Spielmöglichkeiten bieten die Möglichkeit, den profanen Arbeitsalltag zu unterbrechen und ihm eine feierliche sowie sozial verbindende Dimension zu verleihen. Ob es nun das Kickern mit dem Chef ist, das Feierabendbier, oder ein Fußballspiel, das man sich zusammen in der offenen Küche anschaut, all diese Dinge erzeugen soziale Bindung und Solidarität zwischen den Mitarbeitern. Dass das Spiel mehr ist als bloßer Zeitvertreib, sondern tatsächlich die Grundlage unserer ganzen Kultur darstellt, beschrieb bereits 1931 der Kulturhistoriker Johan Huizinga sehr ausführlich in seinem Buch Homo Ludens - Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Der französische Philosoph George Bataille führte fünfundzwanzig Jahre später Huizingas Gedanken noch weiter und begriff das Spiel als ein Zeichen von Souveränität. Seiner Meinung nach verkümmern Menschen, die lediglich materielle Interessen verfolgen und deren soziales Agieren sich auf die Formel „jeder dient jedem“ reduziert, zu bloßen Dingen. Erst dort, wo sie sich jenseits eines reinen Nützlichkeitsdenkens bewegen, sich großzügig zeigen und bereit sind, alles aufs Spiel zu setzen, verhalten sie sich wie souveräne Menschen. Beide Theoretiker argumentierten zu ihrer Zeit vor dem Hintergrund, weil das Spiel trotz der von ihnen herausgearbeiteten Bedeutung immer mehr an Boden verlor. Huizinga machte dafür die zunehmend technisch und wirtschaftlich geprägte Welt verantwortlich. In der Zeit in der er lebte, hatte die Rationalisierung und Bürokratisierung der westlichen Wirtschaft gerade Hochkonjunktur. Dass es auch anders geht, dass trotz harter Arbeit und Profitorientierung der Spaß nicht zu kurz kommen muss, machte in den 1970er und 1980er Jahren das Silicon Valley vor. Ihrem Beispiel folgen die Unternehmen der New Economy seit den 1990er Jahren.
Auszug aus dem Sachbuch: VON ALTEN UND NEUEN BÜROWELTEN - Wie das Büro zu einem Ort kreativer Zusammenarbeit wird
Autor:
Maik Marten
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als Soft Cover:
ISBN 978-3754128268
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Literatur / Quellen:
[1] Byung-Chul Han, Vom Verschwinden der Rituale - Eine Topologie der Gegenwart, 2019, S. 11
[2] Ebd., S. 10
[3] Tom Kelley, The Art of Innovation, 2016, S. 20
[4] Ebd., S. 18
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