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AutorenbildMaik Marten

Wie das GWP (Global Warming Potential) mehr Transparenz im Interior Design schaffen könnte.

Aktualisiert: 25. Okt. 2024


PET-Kunstoffflaschen als Recyclingmaterial für Bauprodukte und Möbel

Eigentlich sollte es klar sein: Nachhaltigkeit (im Bau) fängt mit Transparenz an. Will man CO2-Emissionen einsparen, muss man wissen, wo man überhaupt steht. So versuchen wir für unsere Projekte parallel – also während der Planung und Umsetzung – die CO2-Emissionen, die bei der Herstellung, beim Transport und beim Einbau entstehen, zu ermitteln. So lässt sich plausibel und konkret aufzeigen, welche Maßnahmen sinnvoll sind und mit welchen kleinen und großen Ideen CO2-Emissionen im Büroausbau eingespart werden können. In der Praxis ist dies jedoch gar nicht so einfach, denn das Einsammeln relevanter Daten von den Herstellern und Gewerken ist sehr mühselig. Praktisch alle Hersteller investieren vermehrt in den Umweltschutz. Dazu publizieren sie ihre Bemühungen auf ihren Websites, in Unternehmensbroschüren und Nachhaltigkeitsberichten. Es gibt praktisch kein Unternehmen, das nicht wenigstens mit einem Umweltzertifikat aufwarten kann. Viele bieten sogar gleich mehrere an. Hier nur mal einige aufgezählt: Blauer Engel, Cradle-To-Cradle, Greenguard, SCS Global Services - Recycled Content, Seaqual, Sea-Tex, Oeko-Tex, Level, TÜV, ISO, CertiPUR, EMAS usw.


Aber selbst das Vorliegen eines anerkannten Zertifikates kann nur begrenzt etwas zum tatsächlichen Grad der Nachhaltigkeit aussagen. Nur ein Beispiel: Innerhalb des Zertifizierungssystems Cradle-to-Cradle gibt es die vier Abstufungen: Bronze, Silber, Gold und Platin. Für jede der insgesamt fünf Anforderungen: Material Health, Product Circularity, Clean Air & Climate Protection, Water & Soil Stewardship und Social Fairness gelten je nach Einstufung unterschiedliche „Grade der Nachhaltigkeit“. So ist der Bronzestatus ein erster Einstieg, bei dem es zunächst hauptsächlich darum geht, die Produktionsprozesse zu identifizieren, Materialien zu inventarisieren und ein Umweltberichtsystems aufzubauen. Beispielsweise müssen der Energieverbrauch und die Emissionen ermittelt werden und der Anteil der erneuerbaren Energie in der Produktion mindestens 5 % betragen. Mit einem höherwertigen Grad steigen die Anforderungen. Für Silber müssen u.a. 95 % der Materialien erfasst (für Gold 100 %), der Anteil recycelter oder erneuerbarer Materialien mindestens auf Branchenniveau gehoben werden (für Gold soll 90 % kreislauffähig sein) und der Anteil der erneuerbaren Energien auf mindestens 20 % steigen (für Gold 50 %).

Beschäftigt man sich also mit den Zertifizierungen intensiver, wird deutlich, dass es hier immer nur um einen bestimmten Grad der Nachhaltigkeit geht. Wirkliche Nachhaltigkeit – wenn wir die Messlatte so hoch legen wollen und müssen, um unsere Klimaziele spätestens 2035 zu erreichen – kann jedoch nur erfüllt sein, wenn die allerhöchsten Grade (im Falle von Cradle-to-Cradle der Status Platin) eingehalten werden. (Kleine Randnotiz: Der Chemiker Michael Braungart, der zusammen mit dem Architekten William McDonough Cradle-to-Cradle ins Leben gerufen hat, schmunzelt gern über den Begriff „Platin“. Immerhin handelt es sich hierbei um ein Schwermetall, das gesundheitliche Probleme wie u.a. Atmungsallergien auslösen kann.)


Die Nachhaltigkeit verlässlich zu beurteilen, ist in der Praxis darüber hinaus noch um einiges komplizierter, denn wo es bereits innerhalb eines Zertifizierungssystems an Übersicht mangelt und der Begriff Nachhaltigkeit verwässert wird, ist die Vergleichbarkeit bei der Vielzahl von den Herstellern unterschiedlich verwendeter Zertifikate, Siegel und Statements kaum noch gewährleistbar – zumindest nicht im beruflichen Projektalltag, wo Zeit und Budget stets knapp sind. Denn darum geht es uns als Planer: Wir wollen schnell und effizient die Nachhaltigkeit der von uns empfohlenen Produkte einschätzen können. Das soll nun nicht heißen, dass Zertifikate überflüssig sind. Die Unternehmen tuen gut daran, ihre Bemühungen zu intensivieren und aufwendige Zertifizierungsprogramme zu durchlaufen. Jede Maßnahme, die mehr Nachhaltigkeit verspricht, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das Problem ist aber die in der Praxis eingeschränkte Aussagefähigkeit aufgrund mangelnder Vergleichbarkeit. Ganz nach dem Sprichwort: „Ich kann den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.“ Durch die Flut an Daten ist oftmals nur ein verschwommenes Bild über die Nachhaltigkeit der Produkte möglich. Und je größer und komplexer Bauprojekte werden, umso schwieriger wird die Beurteilung.


Wir plädieren daher schon seit Langem, die Transparenz und Vergleichbarkeit zu erhöhen, indem man neben den Zertifikaten konkrete Kennzahlen zu jedem einzelnen Produkt leicht zugänglich macht. Eine interessante Größe ist hier das sogenannte Global Warming Potential (GWP), also der CO2-Fußabdruck auf Produktebene, im Rahmen der Environmental Product Declaration (EPD).

Eine GWP-Kennzahl kann man sich so ein bisschen wie die übersichtliche Darstellung von Nährwerten oder Nutri-Scores auf den Verpackungen von Nahrungsmitteln vorstellen, die den Käufern schnell und übersichtlich relevante Daten liefern. Neben der Produktqualität und dem Preis gehören sie meiner Meinung nach nicht nur auf Konsumprodukte, sondern auf alle Produkte, die man erwerben kann – egal ob auf Joghurtbechern, Computerverpackungen, Produktbroschüren von Autoherstellern, Flugtickets und eben auch auf die Verkaufsunterlagen von Baumaterialien und Möbeln.


Doch noch ist die Industrie nicht soweit. So weisen bei einem aktuellen Projekt, bei dem wir versucht haben, den CO2-Fußabdruck zu ermitteln, gerade einmal 8 % der Produkte den GWP aus (4 von 49 Produkte). Lediglich 17 % der Hersteller geben für ihre Produkte den GWP an (4 von insgesamt 23 Herstellern). Will man den CO2-Fußabdruck dennoch ermitteln, müssen wir auf Kennzahlensysteme und Materialkompasse von dritten Quellen zurückgreifen. Das sind dann aber meist nur Näherungswerte, denn die genauen, produktspezifischen Materialherkünfte und -flüsse sind uns ja nicht bekannt. Dies wissen nur die Hersteller. Ohne ihre Unterstützungen müssen wir daher mit Ungenauigkeiten und Fehlern rechnen.


Auch erwähnen sollte man, dass die fehlende Angabe eines CO2-Fußabdruckes nicht bedeutet, dass das Produkt weniger nachhaltig ist. Es kann ja durchaus auch sein, dass ein Produkt ohne Angabe des GWP „nachhaltiger“ ist als ein Produkt, das ein GWP ausweist. Aber eben auch dies zu beurteilen, ist praktisch unmöglich, wenn keine einheitlichen Kennzahlen verfügbar sind. Erst dann lassen sich entsprechend praxistauglichere, verlässlichere Empfehlungen an Bauherren aussprechen.

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