Wie allein die beiden Beispiele der Stahl- und Betonherstellung zeigen, wird es in absehbarer Zeit nicht möglich sein, die Produktion vollständig klimaneutral umzugestalten. Selbst wenn man ausschließlich erneuerbare Energien für die Herstellung verwendet und die stofflichen Prozesse weiter optimiert, wird immer eine gewisse Menge Treibhausgas emittiert werden.
Könnte man dann vielleicht einfach auf Stahl und Beton verzichten? In bestimmten Bereichen, beispielsweise im Bauwesen, ist dies in Teilen sicherlich möglich. Die Verwendung von Holz im Bau ist ja keine neue Erfindung. Seit Jahrtausenden wird Holz verwendet. Allerdings hat sich der Einsatz aus statischen und vor allen Dingen aus brandschutztechnischen Gründen bisher auf kleinere Gebäude und Konstruktionen beschränkt. Dies ändert sich immerhin langsam. So wird auch im mehrgeschossigen Bau immer häufiger auf Holz zurückgegriffen. Dennoch benötigen selbst ausgewiesene Holzhäuser ab einer bestimmten Größenordnung noch immer Fundamente, Kerne, Treppenhäuser und Fahrstuhlschächte aus Stahlbeton. Darüber hinaus gibt es aber auch noch ein weiteres Problem. Holz ist ein nachwachsender Rohstoff, der nur sehr begrenzt zur Verfügung steht. Und dieser Engpass wird sich aufgrund des Klimawandels in den nächsten Jahrzehnten noch weiter verengen, worauf ich später noch ausführlich eingehen werde. Daher wird man im Bauwesen, aber auch in allen anderen Wirtschaftssektoren, nur im geringem Umfang auf Stahl und Beton verzichten können.
Dies wirft uns zurück auf unser Klimaproblem. Denn das Problem besteht darin, dass es nicht ausreicht, den CO2-Ausstoß lediglich drastisch zu senken. Solange wir es nicht schaffen, klimaneutral zu werden, schwappt die Badewanne früher oder später über. Es müssen daher Lösungen gefunden werden, wie man die unvermeidbaren Emissionen ausgleichen kann.
Hoffnungsträger ist dabei die gezielte Entnahme von CO2 aus der Luft. Verfahren dieser Art fasst man unter dem Begriff Direct Air Carbon Capture oder vereinfacht Direct Air Capture (DAC) zusammen. Etwa ein Dutzend Forschungs- und Entwicklungsteams arbeiten überall auf der Welt an dieser Technologie. Noch steckt sie allerdings in den Kinderschuhen. Das Grundprinzip von DAC klingt zunächst recht simpel. Es basiert auf der Eigenschaft einiger Chemikalien oder Granulate, CO2 unter bestimmten Bedingungen zu absorbieren. So entwickelt beispielsweise das Schweizer Start-up Climeworks (ein Spin-off der ETH Zürich) eine Apparatur, bei der Luft durch einen Filter gesaugt wird, an dem spezielle Chemikalien haften. Diese lösen das CO2 aus der Luft heraus, bis der Filter mit dem Gas ausreichend gesättigt ist. Erhitzt man das Ganze anschließend, löst sich das Klimagas wieder aus dem Filter heraus. Danach kann es aufgefangen und entweder in geschlossenen Behältern für eine spätere industrielle Verwendung abgeleitet oder mit Wasser vermischt unter hohem Druck in Basaltgestein injiziert werden. Dort wandelt es sich in den festen Stoff Calciumcarbonat um. Auf diese Weise erhält man ein stabiles und lagerfähiges Material, das man unter der Erde in Höhlen, Schächten und Gruben einlagern kann.[1] Seit 2017 filtert Climeworks Anlage jährlich etwa 900 t CO2 aus der Umgebungsluft. Noch ist man aber noch nicht soweit, das Gas in größeren Mengen in Gestein einzulagern. Nur eine kleine Menge wird bisher in fester Form mineralisiert. Es fehlt an der Bereitstellung geeigneter Lagerstätten. Der überwiegende Teil wird daher in der Industrie, beispielsweise in der Getränkeherstellung zur Versetzung von Limonaden mit Kohlensäure, eingesetzt, wo es lediglich vorübergehend gebunden wird. Ein weiteres Problem stellt der hohe Energieverbrauch dar. Momentan sind die Verfahren noch zu energieintensiv, um sie im größerem Maßstab anzuwenden. So schätzt man, dass je extrahierter Tonne CO2 zwischen 5 und 10 GJ Energie benötigt werden.[2]
An der Arizona State University gründete der Ingenieur Klaus S. Lackner eigens das Center for Negative Carbon Emissions, wo er zusammen mit seinen Kollegen an einem DAC-Verfahren forscht, bei dem anders als bei Climeworks für die Filterung ein Granulat verwendet wird, das den Vorteil besitzt auch ohne die Zuführung großer Hitze bzw. Energiemengen, CO2 aus der Umgebungsluft aufzunehmen und wieder lösen zu können. Es braucht lediglich trockene Außenluft für die Aufnahme und Wasser für die anschließende Abscheidung. Die kleinen mit Granulat gefüllten Sektionen vergleicht Lackner gern mit den Blättern eines Baumes. Untergebracht in einer Maschine, die ungefähr so groß wie ein Sattelschlepper sein würde, wäre es vollkommen ausreichend, sie irgendwo in der Natur in den Wind zu stellen. So wie die Blätter eines Baumes würden sie das CO2 aus der Umgebungsluft aufnehmen, allerdings mit dem entscheidenen Vorteil, dass dies 1000 Mal schneller geschieht als in der Natur.
Aber noch ist ihre Maschine nur ein Prototyp. Die Vision ist jedoch, sie schon bald in größerer Stückzahl in trockenen Regionen der Welt aufzustellen. Lackner und sein Kollege Christophe Jospe stellen in ihrem Artikel Climate Change Is a Waste Management Problem folgende Rechnung auf: Nach ihrer Einschätzung sollte es in naher Zukunft möglich sein, je Anlage eine Tonne CO2 am Tag zu extrahieren. Tausende Maschinen aufgebaut, beispielsweise in einer trockenen Steppenlandschaft, könnten so jedes Jahr Millionen von Tonnen einsammeln. Überall auf der Welt eingesetzt, wären es sogar Milliarden von Tonnen; eine Größenordnung, die mit den aktuell rund 50 Milliarden Tonnen Emissionen an CO2-Äquivalenten Schritt halten könnte. Stellte man sich zudem vor, dass es die Menschheit in zehn, zwanzig Jahren schaffte, den Ausstoß des Klimagases deutlich zu senken, würde man die Badewanne mit Hilfe von DAC sogar wieder leeren können. Eine schöne Vorstellung.
Lackner und Jospe hegen große Hoffnung in diese Technologie. Sie gehen sogar soweit, dass sie in Ihrem Artikel, der nicht ohne Grund Climate Change Is a Waste Management Problem heißt, die Notwendigkeit eines extrem teuren Umbaus unserer Energieversorgung von fossiler auf erneuerbaren Quellen relativieren. Ihrer Ansicht nach sollte man CO2 als ein normales Abfallprodukt betrachten, das ganz ähnlich der Müllentsorgung oder Abwasserkanalisation, die sich die zivilisierte Welt in den vergangenen Jahrhunderten aufgebaut hat, nachahmt. Die CO2-Entsorgung wäre demnach „bloß“ ein logistisches und finanzielles Problem, dessen man sich einfach stellen muss. Eine Herausforderung, die man allerdings auch nicht unterschätzen sollte. Bevor die Technologie in Größenordnungen skaliert werden kann, um der Atmosphäre eine signifikante Menge CO2 zu entziehen, müssen noch viele Herausforderungen bewältigt werden. Da ist zum einen der bereits angesprochene hohe Energieverbrauch. So lange der sich auch aus fossilen Energieträgern speist, würde man das Problem durch die flächendeckende Einführung von DAC sogar noch verschärfen. Würde man den Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen verwenden, müssten noch einmal zusätzliche Anstrengungen vollzogen werden, die Energiewende zu betreiben. Darüber hinaus ist die Frage der Einlagerung noch nicht geklärt. Tatsächlich gehen hierbei die Meinungen weit auseinander, ob überhaupt genügend geeignete Lagerflächen in der Erdhülle zur Verfügung stehen. Manche befürchten zudem die Risiken von plötzlich auftretenden Lecks, sofern das CO2 nicht mineralisiert, sondern direkt gasförmig eingelagert wird. Diese könnten tatsächlich verheerend sein. Sollte CO2 beispielsweise durch einen Spalt im Erdreich in größeren Mengen plötzlich an die Erdoberfläche entweichen, würden Menschen und Tiere in der unmittelbaren Nähe in Todesgefahr schweben, da CO2 in hohen Konzentrationen für den Organismus giftig ist. Ein weiteres Problem ist der zu erwartende hohe Wasserverbrauch. Für die bislang entwickelten Verfahren schätzt man einen Bedarf von 5 bis 13 t für jede einzelne gefilterte t CO2.[3] Das ist natürlich kritisch zu betrachten. Immerhin ist selbst in unseren Regionen Wasserknappheit durch den Klimawandel mittlerweile ein Thema. Wissenschaftler des Geoforschungszentrums Potsdam ermittelten 2019, dass dem mitteleuropäischen Boden aufgrund der vielen Dürreperioden der letzten Jahre rund 145 Milliarden t Wasser fehlen. Was bereits jetzt zu einem großen Problem wird. Immerhin speist sich allein in Deutschland die Wasserversorgung zu 70 Prozent aus Grundwasser.[4]
Und dann sind da natürlich noch die Kosten. Im Moment schwanken die Prognosen noch sehr stark. Zwischen 100 und 1000 Euro muss man vermutlich je t abgeschiedenem CO2 rechnen. Die Gründer von Climeworks als auch Lackner schätzen jedoch, dass sich bei einer breiten Einführung der Systeme die Preise mittelfristig auf ungefähr 100 Euro pro Tonne einpegeln könnten.
Ich frage mich, ob dies viel oder wenig ist? Daher will ich es am Beispiel meines eigenes Autos durchrechnen. Der Blick in die technischen Daten des Audi A3 zeigt, dass der Benzinmotor auf einen Kilometer 113 Gramm CO2 erzeugt. Zur Vereinfachung der Rechnung will ich einmal von genau 100 Gramm ausgehen. Hochgerechnet auf 100 km sind das 10 kg oder 0,01 t. Bei einem DAC-Preis von 100 Euro je t würde dies einen Aufschlag von 1 Euro auf 100 km bedeuten. Das Benzin kostet mich bei einem Literpreis von sagen wir grob aufgerundet 2 Euro und einem Verbrauch von durchschnittlich 8 Litern auf 100 Kilometer 16 Euro. Addiere ich dazu die 1 Euro für DAC und rechnete es wieder auf den Literpreis herunter, käme ich schließlich auf rund 2,13 Euro je Liter Benzin. Die Kompensation würde mich also nur 13 Cent auf den Liter kosten. Klingt eigentlich gar nicht so viel, oder?
Lässt man die weitere Entwicklungsarbeit der noch unausgereiften Technologie und die Prüfung der generellen Machbarkeit einer Produktion in riesiger Stückzahl einmal beiseite, erscheinen die Kosten für die Kompensation durchaus im Bereich des Vorstellbaren. Zudem ist zu bedenken, dass im Benzinpreis schon ein CO2-Aufschlag eingerechnet ist. Seit 2021 gilt die CO2-Bepreisung im Verkehr. Schrittweise wird von der EU für jede Tonne CO2 ein Aufschlag festgelegt. Aktuell (2023) beträgt er circa 8,4 Cent je Liter Benzin, 2026 wird er voraussichtlich bei circa 16 Cent liegen. Das würde für meine Modellrechnung bedeuten, das die Kosten unter dem Strich sogar sinken könnten.[5]
Und wie hoch wäre der Aufschlag für Beton? Beton gibt es in ganz unterschiedlichen Qualitäten und Preisen. Als Bezugsgröße gilt in der Regel der Kubikmeter. Je nach Beschaffenheit ergibt sich ein unterschiedliches Gewicht. Für die Modellrechnung will ich soweit vereinfachen, dass 1 Kubikmeter rund 2.400 kg entsprechen und 100 Euro kostet.[6] Auch der Zementanteil ist wiederum davon abhängig, welche Qualität für den Beton beabsichtigt ist. Auch hier will ich zur Vereinfachung mit dem durchschnittlichen Mischungsverhältnis 1/5 kalkulieren. Auf 1 m3 Beton kämen demnach rund 500 kg Zement, die wiederum, wie ich im Beitrag Kann man Stahl und Beton klimaneutral herstellen? erläutert habe, circa 600 kg CO2 je t Zement erzeugen. Nehmen wir an, DAC stände uns bereits heute zu den prognostizierten Kosten von 100 Euro je Tonne zur Verfügung und nehmen wir ebenso an, Beton wird so klimaschädlich wie bisher produziert, ergäbe das einen Aufschlag von 30 Euro, bzw. 30 Prozent je Kubikmeter Beton. Sollte in naher Zukunft die Betonherstellung auf erneuerbare Energien umgestellt (75 Prozent weniger energetisch bedingte Emissionen) und die prozessbedingten Emissionen reduziert werden können, wäre ein Aufschlag von vielleicht nur noch 5 bis 10 Prozent nötig. Wenn zudem weniger Beton zugunsten von Holz verwendet werden würde, käme am Ende rechnerisch vielleicht sogar ein Nullsummenspiel heraus.
Natürlich ist das eine sehr stark vereinfachte Rechnung. Niemand weiß im Moment, wie sich die Kosten der Betonherstellung entwickeln, wenn das Herstellungsverfahren angepasst wird. Ebenso steht es in den Sternen, ob DAC tatsächlich im größerem Maßstab technisch möglich und sinnvoll ist. Aber darum geht es mir hier nicht. Vielmehr will ich damit aufzeigen, dass es durchaus im Bereich des Machbaren liegt, die Energiewende zu vollziehen und an bestimmten Materialien aufgrund ihrer bisher unersetzbaren Eigenschaften festzuhalten.
Ein nicht unberechtigter Kritikpunkt an DAC ist die Befürchtung, dass man der Energiewende den Wind aus den Segeln nimmt. Sollte sich die Entwicklung der Technologie schneller als erwartet vollziehen und sich die Produktionskosten moderat entwickeln, könnten viele Wirtschaftsteilnehmer geneigt sein, die Anstrengungen, ihre Produktionen klimaneutral zu gestalten, zu verlangsamen oder gar ganz auszusetzen. Anlass für Sorge gibt es. Immerhin finden sich unter den Investoren der diversen Forschungsvorhaben bekannte Größen der fossilen Brennstoffindustrie wieder; darunter ExxonMobil, Occidental Petroleum, BHP, Shell oder ENI.[7] Einigen geht es um die Nutzung von CO2 für die Produktion von synthetischen Kraftstoffen, anderen darum, in hohen Konzentrationen bereitgestelltes CO2 in bereits ausgebeutete Ölreservoirs zu pumpen, um damit an die restlichen, schwer zugänglichen Ölvorkommen besser heranzukommen.
Vielversprechender erscheint da das von der EU finanzierte Forschungsprojekt CarbFix unter der Leitung von Reykjavik Energy. Das isländische Energieunternehmen betreibt unweit der Hauptstadt ein 300-Megawatt-Geothermalkraftwerk. Obwohl dieser Typ von Kraftwerk im Vergleich zu herkömmlichen Kohle- oder Gaskraftwerken deutlich sauberer ist, entweichen bei der Entnahme von heißem Wasserdampf aus dem Erdreich, der für den Antrieb der stromerzeugenden Turbinen genutzt wird, immer auch unerwünschte Kohlendioxid- und Schwefelwasserstoffgase. Daher hatte sich das Unternehmen in Zusammenarbeit mit Climeworks entschlossen, eine DAC-Anlage zu entwickeln, die die Gase direkt vor Ort aufnimmt und anschließend in Basaltgestein speichert.[8] Die Initiatoren von CarbFix geben sich sehr optimistisch. Auf ihrer Website stellen sie eine Karte bereit, aus der weitere mögliche Standorte hervorgehen. Gestützt auf geologische Untersuchungen weist man hier Gesteinsformationen und Mineralien aus, von denen bekannt ist, dass sie mit flüssigem CO2 feste Karbonate bilden können. Zumindest theoretisch, denn über die räumliche Zugänglichkeit und Durchlässigkeit des Gesteins lässt sich noch nichts Konkreteres sagen. Ungeachtet dessen schätzen sie aber ein gewaltiges Lagerpotenzial von 4.000 Mrd. t CO2 für Europa und 7.500 Mrd. t CO2 für die USA.[9]
Quellen/Literatur

[1] Elizabeth Kolbert, Wir Klimawandler - Wie der Mensch die Natur der Zukunft erschafft, Suhrkamp, 2021, S. 163 ff.
[2] Geoengineeringmonitor, Geoengineering Technologie-Briefing der Heinrich-Böll-Stiftung Januar 2021,
[3] Geoengineeringmonitor, Geoengineering Technologie-Briefing der Heinrich-Böll-Stiftung Januar 2021,
[4] Nick Reimer/Toralf Staud, Deutschland 2050 - Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird, Kiepenheuer & Witsch, eBook-Ausgabe, Kap.: Dass es in Deutschland genug Wasser für alle gibt – diese Gewissheit gilt angesichts des Klimawandels nicht mehr
[5] https://www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/auto-kaufen-verkaufen/kfz-steuer/co2-steuer/#auswirkung-des-co₂-preises-auf-die-spritkosten
[6] vgl. https://kostencheck.de/beton-liefern-lassen-kosten und
https://www.cemex.de/produkte/beton/preislisten
[7] Geoengineeringmonitor, Geoengineering Technologie-Briefing der Heinrich-Böll-Stiftung Januar 2021
[8] Elizabeth Kolbert, Wir Klimawandler - Wie der Mensch die Natur der Zukunft erschafft, Suhrkamp, 2021, S. 160 ff.
[9] https://www.carbfix.com/atlas
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